Sieben Monate nach Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hat die EU Kommission am 23. Februar ihren lang erwarteten Entwurf einer Richtlinie über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Bereich der Nachhaltigkeit veröffentlicht. Auf welche neuen Verpflichtungen müssen sich deutsche Unternehmen mittelfristig einstellen? In diesem Beitrag vergleichen wir die EU Richtlinie mit dem deutschen LkSG.

Die neue Richtlinie, im englischen Directive on Corporate Sustainability Due Diligence genannt, weist neben vielen Gemeinsamkeiten auch einige bedeutende Unterschiede zum Lieferkettengesetz auf. Im Kern geht es jedoch in beiden Vorschriften darum, der Verletzung von Menschenrechten und umweltbezogenen Pflichten vorzubeugen, negative Auswirkungen von Menschenrechts- bzw. umweltschutzbezogenen Verletzungen zu mildern und solche Verletzungen zu beenden. In der Anlage zur Richtlinie findet sich eine Auflistung der umfassenden Rechte und Pflichten, die weit mehr umweltbezogene Pflichten enthält als das LkSG.

Anwendungsbereich der EU Due Diligence-Richtlinie

Die EU-Richtlinie betrifft alle im Unionsgebiet ansässigen Unternehmen mit durchschnittlich mehr als 500 Mitarbeitenden und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. Euro, jeweils bezogen auf das Vorjahr. Für Unternehmen, die mindestens 50% ihres Umsatzes in einem oder mehreren der drei sogenannten Hochrisikobereichen (Textilen, Fischerei-, Forst- und Landwirtschaft sowie Bodenschätze) erwirtschaften, werden die Schwellenwerte auf durchschnittlich 250 Mitarbeitende und einen Nettoumsatz von 40 Mio. Euro gesenkt.

Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU müssen die Vorgaben der Richtlinie ebenfalls befolgen, sofern sie im Unionsgebiet einen jährlichen Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. Euro erzielen. Diese Umsatzgrenze wird auf 40 Mio. Euro gesenkt, sofern sie in einem oder mehreren der Hochrisikobereiche tätig sind und dort weltweit mindestens 50% ihrer Nettoumsätze erzielen.

Damit geht der Anwendungsbereich der EU-Richtlinie deutlich über den des LkSG hinaus.

Reichweite der Sorgfaltspflichten: Auch indirekte Lieferanten betroffen

Wie im LkSG beziehen sich die unternehmerischen Sorgfaltspflichten nach der EU-Richtlinie auf den eigenen Geschäftsbereich sowie auf den von Konzerngesellschaften.

Das LkSG bezieht vor allem unmittelbare Zulieferer in den Adressatenkreis ein. Nur in Ausnahmefällen sind auch mittelbare Lieferanten von dem LkSG betroffen. Anders sieht es bei der EU-Richtlinie aus: Nicht das Kriterium der „Unmittelbarkeit“ ist relevant, sondern ob es sich um eine etablierte direkte oder indirekte Geschäftsbeziehung handelt, die sich dadurch auszeichnet, dass sie von einer gewissen Intensität und Dauer ist und nicht nur einen unbedeutenden oder untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt.

Der Richtlinie liegt laut ihrer Begründung die Annahme zugrunde, dass sich die etablierte Geschäftsbeziehung mit einem unmittelbaren Zulieferer auch automatisch auf dessen Zulieferer bezieht. Das dürfte so nicht für alle Unternehmen zutreffen, da sie in der Regel nur einen Bruchteil der vorgelagerten mittelbaren Zulieferer kennen und diese Kenntnis ihnen durch ihre unmittelbaren Zulieferer, unter anderem aus wettbewerbsrechtlichen Überlegungen, verwehrt werden kann.

Eine weitere Unsicherheit entsteht dadurch, dass die Richtlinie den Begriff der Wertschöpfungskette nutzt. Damit sollen alle vor- und nachgelagerten direkten und indirekten Geschäftsbeziehungen, einschließlich der Demontage des Produkts, seines Recyclings, seiner Kompostierung oder Deponierung erfasst sein. Unklar bleibt, in welchem Umfang die Richtlinie die Unternehmen in die Pflicht nimmt, direkte und indirekte Abnehmer ihrer Produkte und Dienstleistungen zu überwachen. Die Sorgfaltspflichten des LkSG enden hingegen schon mit der Übergabe des Produkts an den Endkunden.

whitepaper-dqs-mann-liest-auf-einem-ipad
Loading...

Whitepaper Nachhaltigkeit in der Lieferkette

Machen Sie sich vertraut mit

  • Nachhaltigkeitsanforderungen an Unternehmen
  • Bedeutung von CSR
  • CSR-Formaten zur Nachweisführung
  • Relevanz von Lieferantenaudits

Sorgfaltspflichten

Hinsichtlich des Umfangs der unternehmerischen Sorgfaltspflichten ist die EU-Richtlinie nahezu identisch mit dem LkSG. Sorgfaltspflichten sollen in alle maßgebenden internen Policies integriert und in einer Due Diligence Policy zusammengefasst werden. Diese soll, wie die Grundsatzerklärung nach dem LkSG, auch einen Ausblick auf die langfristig anzuwendenden unternehmerischen Sorgfaltspflichten geben. Des Weiteren sollen Unternehmen Präventions- und Abhilfemaßnahmen entwickeln, implementieren und vorhalten.

Beide Regelungen zielen darauf, dass diese Maßnahmen nicht nur an den unmittelbaren Zulieferer sondern auch von diesem wiederum an seine Lieferanten vertraglich weitergereicht werden. Die Richtlinie sieht an dieser Stelle auch eine direkte Vereinbarung zwischen Unternehmen und ihren mittelbaren Zulieferern zur Vermeidung, Minderung oder Beendigung von potentiellen oder aktuellen Verstößen gegen Menschenrechte und umweltbezogene Pflichten vor. Inwieweit solche Absprachen realistisch und praktikabel sind, lässt sich derzeit noch nicht absehen.

Sofern Absprachen dieser Art mit KMUs vereinbart werden, sollen sie fair, angemessen und nicht diskriminierend sein. Die Kosten für eine ggf. notwendige Überprüfung der mit KMUs vereinbarten Maßnahmen durch Dritte soll das Unternehmen tragen.

Sowohl das LkSG als auch die EU Due Diligence-Richtlinie sehen die Implementierung eines Beschwerdemechanismus vor, wobei der Kreis möglicher Hinweisgebenden nicht auf Beschäftigte beschränkt wird, sondern Gewerkschaften sowie zivilgesellschaftliche Organisationen entlang der Wertschöpfungskette einbeziehen soll.

Sowohl die EU-Richtlinie als auch das LkSG schreiben vor, dass die Effektivität der getroffenen Sorgfaltspflichten regelmäßig, mindestens jährlich bzw. anlassbezogen überprüft und falls notwendig die eingangs erwähnte Due Diligence Policy entsprechend angepasst wird.

Schließlich sieht die Richtlinie wie das LkSG eine jährliche Berichtspflicht vor. Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der nichtfinanziellen Berichterstattung nach dem CSR-Richtlinienumset-zungsgesetz fallen, sind verpflichtet, in diesem Rahmen über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten zu berichten. Die Kriterien für die Berichterstattung aller anderen Unternehmen werden von der Kommission noch entworfen. Hier wäre im weiteren Gesetzgebungsprozess eine Abstimmung mit der Corporate Sustainability Reporting Directive wünschenswert, die den Bereich der nichtfinanziellen Berichterstattung reformieren und schon zum 1. Januar 2024 in Kraft treten soll.

Anders als das LkSG sieht die Richtlinie keine Benennung eines Verantwortlichen vor, etwa eines Menschenrechts- (und Umwelt)beauftragten. Auch eine Dokumentation ist nicht als Sorgfaltspflicht in der Richtlinie erwähnt, obwohl eine Dokumentation der ergriffenen Maßnahmen zwingend notwendig ist, um sich ggf. gegen zivilrechtliche Schadensersatzansprüche bzw. staatliche Sanktionen erfolgreich wehren zu können.

Schadenersatz

Im Gegensatz zum LkSG sieht die Richtlinie vor, dass Betroffene Schadensersatzansprüche gegen Unternehmen geltend machen können, wenn sie geschädigt wurden, weil erforderliche Präventions- und/oder Abhilfemaßnahmen nicht ergriffen wurden.

Sanktionen

Beide Regelungen geben den zuständigen Aufsichtsbehörden Sanktionsmöglichkeiten für eine fehlende oder mangelhafte Umsetzung von Sorgfaltspflichten an die Hand. Es ist davon auszugehen, dass die Aufsicht wie im LkSG vorgesehen beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) liegen wird, mit dem gleichen Instrumentarium für die Prüfung und Ahndung von unternehmerischen Fehlverhalten.

Haftung der Geschäftsleitung

Im Gegensatz zum LkSG schafft die Richtlinie einen eigenen Haftungstatbestand für die Geschäftsleitung, sofern diese die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen der unternehmerischen Aktivitäten auf Menschenrechte, den Klimawandel, die Umwelt sowie weitere Nachhaltigkeitsthemen bei ihren Entscheidungen nicht berücksichtigt.

Weitere Verpflichtungen der Geschäftsleitung

Gemäß EU-Richtlinie sollen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass die Geschäftsleitungen zum einen verpflichtet werden, ihren Aufsichtsgremien über die Umsetzung der Sorgfaltspflichten zu berichten und zum anderen die Unternehmensstrategie dahingehend anzupassen, dass nachteilige Auswirkungen der unternehmerischen Aktivitäten auf Menschenrechte und den Schutz der Umwelt vermieden werden.

Klimawandel

Absolutes Neuland betritt die Richtlinie mit der Vorgabe an im Unionsgebiet ansässigen Unternehmen mit durchschnittlich mehr als 500 Mitarbeitenden und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. Euro einen Plan aufzustellen, der sicherstellt, dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens im Einklang mit dem Abkommen von Paris zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius steht.

Sofern der Klimawandel zu den identifizierten Hauptrisiken des Unternehmens zählt oder wesentliche Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb hat, soll der Plan Emissionsreduzierungen vorsehen.

Schließlich soll die Erfüllung der genannten Vorgaben auch Gegenstand der variablen Vergütung der Geschäftsleitung werden.

Umsetzung in nationales Recht

Der vorliegende Entwurf wird nun zwischen EU Kommission, Rat und Parlament abgestimmt. Falls dies vor den Wahlen zum Europaparlament im Frühjahr 2024 der Fall sein sollte, könnte die Richtlinie, nach Ablauf der zweijährigen Übergangsfrist 2025/2026 in nationales Recht umgesetzt werden und zu Änderungen des LkSG führen. Bis dahin gilt nach wie vor das LkSG in seiner im Juni 2021 verabschiedeten Form.

Hier können Sie den Entwurf einer Richtlinie über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Bereich der Nachhaltigkeit (Directive on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937) einsehen. 

Autor
Michael Wiedmann

Von Juni 2017 bis Dezember 2020 war Michael Wiedmann als Anwalt für Compliance im Frankfurter Büro von Norton Rose Fulbright tätig. Zuvor hatte er zwei Jahrzehnte verschiedenste Management-Positionen in der METRO Group inne; u. a. war er dort als Chief Compliance Officer, Senior-Vice President Public Affairs, Head of Corporate Development/ General Manager, General Counsel und Company Secretary tätig. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung in Compliance-, Governance- und Corporate-Angelegenheiten, die er in die Beratung seiner Mandanten insbesondere bei der Entwicklung und Ausgestaltung von Compliance Management Systemen einbringt. Neben seinem Engagement beim Deutschen Institut für Compliance e.V. (DICO) als Co-Arbeitskreisvorsitzender CSR/Menschenrechte veröffentlicht Michael Wiedmann regelmäßig zu den Themen Menschenrechte und Whistleblowing.

Loading...
<p>Experte Lieferkettengesetz und Fachanwalt f&uuml;r Compliance</p>

Relevante Artikel und Veranstaltungen

Das könnte Sie auch interessieren.
Event

Sustainability Heroes 2022 - Nachhaltigkeitskonferenz

Okt. 18 , 2022
online | Deutsch