Seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 1996 haben weit mehr als 500.000 Unternehmen weltweit ein Umweltmanagementsystem nach ISO 14001 aufgebaut und zertifizieren lassen. Die zunehmende Akzeptanz und Beliebtheit ist ein Beleg dafür, dass Unternehmen jeder Art und Größe von den positiven Impulsen dieser internationalen Norm profitieren können. Mit der Revision von 2015 erhielt auch die Umweltnorm breiten Raum für den Umgang mit Risiken und Chancen. Allerdings gibt es dabei keine Anforderungen für ein formales Risikomanagement. Die Organisation legt die Methode zur Bestimmung ihrer Risiken und Chancen selbst fest. Ein einfacher qualitativer Prozess ist ebenso möglich wie eine vollständige quantitative Bewertung. 

Risiken und Chancen in ISO 14001 – Ein Perspektivenwechsel

Die Sichtweise des Unternehmerrisikos beschränkte sich lange Zeit auf einen finanziellen Ergebnisvergleich. Heute besteht allgemeiner Konsens, dass Unternehmen unterschiedlicher Art und Größe mannigfaltigen internen und externen Faktoren und Einflüssen – die Norm spricht von „Themen“ – unterliegen. Strukturelle und konjunkturelle Veränderungen des Unternehmensumfelds sowie neue Marktbegleiter führen zu einer Unsicherheit, ob und wann die Organisation ihre Ziele erreicht.

Der Effekt dieser Unsicherheit auf die Unternehmensziele, ob monetärer oder anderer Natur, lässt sich als „Risiko“ bezeichnen. Diese Betrachtungsweise hielt mit der Normrevision im Jahr 2015 auch im Umweltmanagement Einzug (Kapitel 6 „Planung“).

DIN EN ISO 14001:2015 – Umweltmanagementsysteme –
Anforderungen mit Anleitung zur Anwendung.

Die Norm ist beim Beuth Verlag erhältlich.

Die Begriffe „Risiken und Chancen“ werden in ISO 14001, Kapitel 3.2.11 wie folgt definiert:

Risiken = potenziell ungünstige Auswirkungen (Bedrohungen)
Chancen = potenziell günstige Auswirkungen (Chancen)

Der risikobasierte Ansatz in ISO 14001 konkretisiert die früheren Anforderungen zu den Vorbeugungsmaßnahmen. Der Kern, das Vorbeugen und Vermeiden von Fehlern, bleibt aber der gleiche. Die oberste Leitung kann die Risiken und Chancen wirksam handhaben, indem sie das Umweltmanagement in die Geschäftsprozesse und ihre strategische Ausrichtung und Entscheidungsfindung integriert.

 

ISO 14001 – Risiken und Chancen bestimmen

Der risikobasierte Ansatz ist, analog zu ISO 9001, einer der Hauptbestandteile der Planungsphase (PDCA-Zyklus) und somit ein zentraler Ansatz im Umweltmanagement. Er ist eine systematische Erweiterung des Denkens in Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen und ermöglicht Unternehmen neue Sichtweisen für Zukunftsbetrachtungen: Was wäre wenn?

Der übergreifende Zweck der notwendigen Prozesse (Kapitel 6.1.1) ist, sicherzustellen, dass das Unternehmen zu Folgendem in der Lage ist:

  • die beabsichtigten Ergebnisse des Umweltmanagementsystems zu erreichen
  • unerwünschte Auswirkungen (Umweltrisiken) zu verhindern oder zu reduzieren
  • fortlaufende Verbesserung zu erreichen
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Risiken und Chancen im Kontext

Es wird schnell klar, dass verschiedene interessierte Parteien eine Vielzahl an Erfordernissen und Erwartungen an das Unternehmen haben können. Doch nicht jede Erwartung ist für das Umweltmanagementsystem relevant. Daher muss die Organisation im nächsten Schritt die relevanten Erfordernisse und Erwartungen (Anforderungen) der interessierten Parteien herausfiltern, um dann festzulegen, welche davon für sie zu bindenden Verpflichtungen werden. Diese können zum Beispiel Vereinbarungen aller Art mit Kunden, Verbänden oder kommunalen Gruppen sein, aber auch Verhaltenscodizes, Branchenstandards oder organisatorische Anforderungen.

Dieses Kontextverständnis ist im Zusammenhang mit der Ermittlung der bindenden Verpflichtungen die Voraussetzung, um den Anwendungsbereich des Umweltmanagementsystems festlegen zu können. Der Anwendungsbereich zeigt die räumlichen und organisatorischen Grenzen des Umweltmanagementsystems auf, sodass er weit über den Tätigkeitsbereich (Scope) eines Unternehmens hinausgeht. Der Scope ist zum Beispiel auf dem Zertifikat beschrieben. Beides sollte nicht miteinander verwechselt werden.

Die Festlegung des Anwendungsbereiches umfasst:

  • externe und interne Themen
  • bindende Verpflichtungen
  • Organisationseinheiten, Funktionen und physische Grenzen
  • Tätigkeiten, Produkte und Dienstleistungen
  • Befugnis und Fähigkeit zur Ausübung von Steuerung und
  • Einflussnahme (= ausgelagerte Prozesse)

 

Maßnahmen zum Umgang mit Risiken und Chancen in ISO 14001

Nach der Umweltnorm DIN EN ISO 14001 sind für folgende Bereiche Chancen und Risiken zu bestimmen, damit die beabsichtigten Ergebnisse erzielt, unerwünschten Auswirkungen begegnet und eine fortlaufende Verbesserung erzielt werden kann:

  • externe und interne Themen (4.1)
  • Erwartungen relevanter interessierter Parteien (4.2)
  • bedeutende Umweltaspekte (6.1.2)
  • bindende Verpflichtungen (6.1.3)
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Lebenswegbetrachtung nach ISO 14001

Umweltrisiken ergeben sich auch aus den einzelnen Lebensphasen eines Produktes oder einer Dienstleistung. Die technische Spezifikation DIN/TS 35807 bietet Unternehmen eine praxisorientierte Anleitung für die normgerechte Berücksichtigung des gesamten Lebenswegs.

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Um es vorwegzunehmen: Es ist nicht Sinn und Zweck der ISO-Norm, für alle betriebsinternen Verfahrensanweisungen entsprechende Chancen und Risiken zu ergänzen. Bei der Ermittlung geht es vielmehr darum, ob das „beabsichtigte Ergebnis“ des Unternehmens durch die Verwirklichung des Umweltmanagementsystems erreicht werden kann. Oder: Welche Faktoren können auftreten, damit dieses Ergebnis nicht zustande kommt?

 

Beabsichtigte Ergebnisse – Das ist das Minimum

Die beabsichtigten Ergebnisse eines Umweltmanagementsystems umfassen als Minimalergebnis:

  1. die Verbesserung der Umweltleistung
  2. die Erfüllung von bindenden Verpflichtungen
  3. das Erreichen von Umweltzielen

Üblicherweise legt das Unternehmen jedoch weitere beabsichtigte Ergebnisse fest, die darüber hinausgehen. So kann es sich beispielsweise zu sozialen und umweltbezogenen Grundsätzen verpflichten. Dabei spielt das Verstehen des Kontextes der Organisation eine essenzielle Rolle. Kein Unternehmen schwebt im „luftleeren Raum“. Es wird immer von externen und internen Themen beeinflusst, wie beispielsweise sich ändernden Marktanforderungen, der Verfügbarkeit von Ressourcen oder der Beteiligung von Beschäftigten. Nicht zu vergessen sind Investoren, die als Kapitalgeber ihr Engagement entsprechend gewürdigt sehen wollen.

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Schulung ISO 14001

Grundlagen eines Umweltmanagementsystems

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Aus dem Inhalt: 

  • Kontext der Organisation und relevante interessierte Parteien
  • Führungswerkzeuge im Umweltmanagement
  • Verbesserungsprozess der Umweltleistung

Dieses sind Minimalanforderung. Es steht dem Unternehmen frei, weitere Betrachtungsfelder einzubeziehen. Gemäß Kapitel 6.1.1 hat die Organisation Prozesse aufzubauen, zu verwirklichen und aufrechtzuhalten, um die Umweltrisiken und Chancen zu bestimmen. Diese Prozesse sollen sicherstellen, dass das Umweltmanagementsystem seine beabsichtigten Ergebnisse erreichen kann und unerwünschte Auswirkungen verhindert oder verringert werden. Dies schließt auch externe Umweltzustände ein, die das Unternehmen beeinflussen.

Beispielsweise können Zufahrtstraßen aufgrund flutartiger Überschwemmungen oder Baumbruch als Ergebnis lokaler Wirbelstürme unpassierbar werden. Wie sähe das Szenario aus, wenn dadurch kein Abtransport der IBC (Intermediate Bulk Container) mit Produktionsschlämmen mehr möglich ist? Oder die Lagerkapazität im Betrieb erschöpft wäre? Daneben tut sich indes vielfach ein weiteres Problem auf: Die Ermittlung der Umweltaspekte in Notfallsituationen. Gemäß den Anforderungen in Kapitel 6.1.2 sind auch nicht bestimmungsgemäße Zustände und vernünftigerweise vorhersehbare Notfallsituationen zu bewerten.

 

Risikobeurteilung mittels Risikomatrix – ein Beispiel

Ein Logistikunternehmen beantwortet die Frage nach potenziell auslaufendem Kraftstoff oder Motorenöl damit, dass alle Fahrer Aufnahmemittel im Fahrzeug haben und entsprechend geschult sind. Doch wie ist die Situation am Wochenende zu bewerten? Die LKW-Flotte steht auf normalem Verbundsteinpflaster, das von Regenrinnen inklusive Sammelschächten durchzogen ist. Der Hauptsammler entleert sich an der Grundstücksgrenze in die örtliche Kanalisation. Es gibt jedoch keine Absperrschieber oder Öl-Abscheider. Eine vorhersehbare Notfallsituation wäre insofern der Austritt von Kraftstoff oder Motorenöl am Wochenende. Eine beispielhafte Risikobeurteilung mittels Risikomatrix kann wie folgt aussehen:

Risikoidentifikation: das ungehinderte Einleiten von Kraftstoff oder Motorenöl in die Mischkanalisation.

Risikoanalyse: die Eintrittswahrscheinlichkeit ist wegen regelmäßiger Wartungsintervalle der LKW gering. Das Schadensausmaß für die Umwelt ist hoch. Insbesondere, da die kommunale Kläranlage recht nah liegt (kurze Fließwege) und dort nicht gepuffert werden kann.

Risikobewertung: das Risiko liegt im gelben, mittleren Grenzbereich und ist damit nicht tolerierbar.

Risikobewältigung: Verringerung des Schadensausmaßes durch Kombination organisatorischer Maßnahmen (Werksschutz schaut nach Leckagen unter den Fahrzeugen) und technischer Maßnahmen (Einbau eines Flüssigkeitsabscheiders oder Box auf dem Parkplatz mit Auffangmittel und Abdeckmatten).

Überwachung und Überprüfung: Schulung/Sensibilisierung der Logistik-Mitarbeiter und des Wachschutzes inklusive Einbeziehung in die nächste Notfallübung, wiederkehrende Revisionen des Abscheiders.

Das Beispiel zeigt, wie Umweltaspekte für den Notfall bewertet werden können. Ein positiver Nebeneffekt in diesem Unternehmen ist, dass zur besseren Leckage-Erkennung der Parkplatz von alten Verunreinigungen gesäubert wurde. Alle Mitarbeiter achten fortan akribisch darauf, dass dies auch so bleibt. Dieses Vorgehen steht insofern im Einklang mit den Anforderungen zur Planung von Maßnahmen. Demnach müssen Maßnahmen geplant werden für den Umgang mit bedeutenden Umweltaspekten, bindenden Verpflichtungen sowie Risiken und Chancen, wie sie laut Kapitel 6.1.1 ermittelt wurden.

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Lebenswegbetrachtung in ISO 14001

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Für jedes erkannte Risiko eine adäquate Chance?

Wie beschrieben, sind Chancen und Risiken für die bindenden Verpflichtungen zu bestimmen. Bindende Verpflichtungen erstrecken sich nicht nur auf geltende Gesetze und Vorschriften, sondern auch auf freiwillige Verpflichtungen, wie zum Beispiel Organisations- und Branchenstandards, Vertragsbeziehungen oder Vereinbarungen mit Umweltorganisationen.

Das Risiko der Nichterfüllung unbekannter Anforderungen aufgrund einer ungeeigneten Systematik ist schnell ermittelt. Doch worin liegt die Chance? Durch ein umfassendes Screening, gleich einem 360-Grad-Radar, könnten Änderungen schon im Entwurfsstatus erkannt und potenzielle Auswirkungen auf das Unternehmen frühzeitig erkannt werden.

 

Fazit: Chancen und Risiken in ISO14001

Die Umweltnorm DIN EN ISO 14001 stellt Unternehmen einen systematischen Rahmen bereit, um die Umwelt zu schützen und auf sich ändernde Umweltzustände reagieren zu können. Dem risikobasierten Ansatz kommt seit der Revision 2015 große Bedeutung zu: Er hilft bei der Identifizierung neuer Handlungsfelder. Welche Systematik dabei angewendet wird, ist aber den Unternehmen selbst überlassen. Wichtig ist, dass die Bewertungskriterien objektiv nachvollziehbar sind, damit die Risikoeinstufung (Hoch, Mittel, Gering) transparent bleibt.

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Zertifizierung nach ISO 14001

Mit welchem Aufwand müssen Sie rechnen, um Ihr Umweltmanagementsystem nach ISO 14001 zertifizieren zu lassen? Informieren Sie sich kostenfrei und unverbindlich.

In vielen Unternehmen gibt es verschiedene Level der Risikobewertung. Die Risiken und Chancen aus der Kontextbestimmung folgen eher dem strategischen Ansatz, während auf operativer Ebene mehr die Risiken und Chancen für definierte Umweltprozesse bestimmt werden. Idealerweise sollte darauf geachtet werden, dass sich die Betrachtungslevel miteinander verknüpfen lassen, um ein unternehmerisches Gesamtbild abgeben und Schnittstellen/Wechselwirkungen erkennen zu können. Im Ergebnis lassen sich Strategien auf die sich gravierend ändernden Umweltzustände ableiten, wie beispielsweise Trockenheit, Niedrigwasser, Starkwetterereignisse oder aber auch Markt- und Kundenverhalten.

 

Die DQS – Von Anfang an der richtige Partner

Ökonomischer Erfolg und Schutz unserer Umwelt sind für erfolgreiche Unternehmen heute gleichrangige Unternehmensziele. Ein systematisches, professionelles Umweltmanagement nach der international anerkannten Norm hilft Ihnen dabei, Ihre Ziele nachhaltig zu verfolgen und die betriebliche Umweltleistung fortlaufend zu verbessern.

Unsere über 25-jährige Erfahrungen mit ISO 14001 – die DQS erhielt ihre Akkreditierung mit der Erstveröffentlichung der Norm im Jahr 1996 – machen uns zu Ihrem kompetenten Partner in Sachen Zertifizierung. Über 2.500 top-qualifizierte und erfahrene Auditoren fühhren jährlich weltweit über 125.000 maßgeschneiderte Audits nach internationalen Normen und anerkannten Standards durch. 

 

Expertise und Vertrauen

Bitte beachten Sie: Unsere Beiträge und Whitepapers werden ausschließlich von unseren Normexperten für Managementsysteme und langjährigen Auditoren verfasst. Sollten Sie Fragen an unsere Autoren zu den Inhalten haben, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf. Wir freuen uns auf das Gespräch mit Ihnen.

Hinweis: Wir verwenden aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum. Die Direktive schließt jedoch grundsätzlich Personen jeglicher Geschlechteridentitäten mit ein, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

Autor
Robert Bernacik

Experte für Umwelt- und Arbeitsschutz, ausgebildete Fachkraft für Arbeitssicherheit der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) und langjähriger DQS-Auditor für die Standards Qualitäts-, Umweltschutz-, Arbeitsschutz- und Energiemanagement.

Nach dem Studium der Umwelttechnik absolvierte Robert Bernacik ein Wirtschaftsaufbaustudium und diplomierte 2002 zum Thema Ökobilanzen. Danach widmete er sich u.a. dem Thema der ökologischen Vorteilhaftigkeit von Getränkeverpackungen für die Deutschen Mineralbrunnen. Als Vertreter der DQS gestaltete er im nationalen Normenausschuss Grundlagen Umweltschutz (NAGUS) die ISO 14001:2015 mit und war Mitglied im DIN-Normenausschuss zur Revision von ISO 45001. Heute arbeitet Bernacik freiberuflich in der Beratung, Schulung und Auditierung im Umwelt- und Arbeitsschutz.

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