In vielen Fällen haben internationale Normen zukunftsweisende Impulse gesetzt und Unternehmen den Aufbau wirksamer Managementsysteme ermöglicht. Als die bekannte Qualitätsmanagementnorm ISO 9001:2015 das Thema „Wissen der Organisation“ endlich in ihren Anforderungskatalog aufnahm, wurde dieses in einschlägigen Kreisen bereits seit 20 Jahren diskutiert – ein Überblick.

Bereits im Jahr 1995 veröffentlichten Hirotaka Takeuchi und Ikujirō Nonaka „The Knowledge-Creating Company: How Japanese Companies create the Dynamics of Innovation”. Damit lenkten sie – vielleicht erstmals – die Aufmerksamkeit von Unternehmensführern auf das Wissen ihrer Organisationen.

In den folgenden Jahren bildeten sich weitere Ansätze heraus, die verschiedene Schwerpunkte setzten und eigene theoretische und praktische Ziele verfolgten: Das Fachgebiet Wissensmanagement entstand in den späten 1990ern.

Alle diese Ansätze gehen von der Prämisse aus, dass das Wissen einer Organisation nicht automatisch zum Unternehmenserfolg führt. Stattdessen muss es durch passende Strukturen und Maßnahmen gefördert werden, wobei diese stets auf die strategischen Unternehmensziele ausgerichtet sein sollten.

 

Was fordert ISO 9001:2015 zum Wissen Organisation?

In einem ganz ähnlichen Sinn greift die anerkannte ISO-Norm ISO 9001:2015 das Thema nach Jahrzehnten wieder auf. Allerdings sind in der Norm keine umfassenden Vorstellungen aus diversen Ansätzen des Wissensmanagements enthalten. Es handelt sich stattdessen um die recht allgemein gefasste Anforderung, das Thema nicht aus den Augen zu verlieren und die damit verbundenen Risiken und Chancen zu behandeln.

In Kapitel 7.1.6 von ISO 9001 wird das Wissen der Organisation als unverzichtbare Ressource für den langfristigen Erfolg des Unternehmens betrachtet.

ISO 9001:2015 fordert Organisationen auf, …

  • Wissen zu bestimmen, das zur Durchführung ihrer Prozesse und zum Erreichen der Konformität von Produkten und Dienstleistungen erforderlich ist,
  • angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Wissen zu erhalten, 
  • es bei Bedarf zu aktualisieren und 
  • in geeigneter Weise verfügbar zu machen. 

Darüber hinaus fordert die Norm, dass Organisationen ermitteln, welches zusätzliche Wissen sie zur Unterstützung des Betriebs oder zur Erreichung von Qualitätszielen benötigen, und wie dieses Wissen erworben oder geschaffen werden kann.

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Wissen ist eine unerlässliche Ressource für den nachhaltigen Unternehmenserfolg!

Quelle: DIN EN ISO 9001:2015-11 – Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen

In den beiden Anmerkungen von Kapitel 7.1.6 folgen noch einige kurze Erläuterungen und Aufzählungen, die jedoch nur allgemein bekannte Informationen enthalten.

 

Herausforderungen und Aufgaben

Die in der Norm festgelegten Anforderungen an das organisationsspezifische Wissen sind recht allgemein formuliert und zudem recht knapp gehalten. Auf diese Weise wird verhindert, dass Anwender mit Details überlastet werden. Zudem bleibt ausreichend Raum für die Erfüllung der Anforderungen, beispielsweise mit Blick auf die Vollständigkeit und das Niveau der Umsetzung.

Aber auch ohne sich allzu sehr in die Frage zu vertiefen, was ISO 9001 mit dem Begriff Wissen der Organisation meint, lassen sich eine ganze Reihe an Aufgaben und Herausforderungen damit verbinden:

  • Kündigung frustrierter Mitarbeiter
  • altersbedingtes Ausscheiden hoch motivierter Beschäftigter
  • unbeabsichtigtes Löschen von Entwicklungsergebnissen
  • technologischer Fortschritt
  • digitales Arbeiten

Die meisten Aufgaben, die sich der obersten Leitung ebenso wie Abteilungsleitern und Qualitätsmanagern stellen, haben etwas mit Wissen zu tun. Wissen

  • das man hat,
  • von dem man weiß, dass man es nicht hat,
  • von dem man nicht weiß, dass man es hat,
  • von dem man nicht weiß, dass man es nicht hat,
  • das gerade in den Ruhestand geht.

 

Impliziertes vs. explizites Wissen der Organisation

Dabei ist es hilfreich, die Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Wissen zu treffen. Wenn es darum geht, den Generationenwechsel und den damit verbundenen Wissenstransfer im Unternehmen zu gestalten, bringen die beiden Wissensarten eigene, teils recht unterschiedliche Erfordernisse mit sich.

Wo es kaum gelingt, 30 Jahre Erfahrung im Umgang mit Kundenbeschwerden sprachlich zu fassen und weiterzugeben, braucht es langfristig geplante Vorgehensweisen. Geht es hingegen darum, die richtigen Maschineneinstellungen vorzunehmen, kann eine gute Dokumentation und Mitarbeiterschulung ausreichen.

 

Strategien zur Wissensbewahrung und Aktualisierung

Unternehmen sollten herauszufinden, welches Wissen sie bewahren möchten und welche Strategien dafür am besten geeignet sind. Das veraltete Wiki-System zu reaktivieren, ist dabei selten die beste Lösung. Oft ist es besser, bereits vorhandene Werkzeuge zu nutzen. Schon einfache Verfahrensanweisungen können jüngere Kollegen davor bewahren, dieselben Fehler der älteren zu wiederholen.

Grundsätzlich verkörpern auch Managementsysteme das Wissen ihrer Organisationen. Das lässt sich nutzen, um implizites und explizites Wissen zu sichern und später zu aktualisieren. 30 Jahre Erfahrung gut zu dokumentieren wird kaum möglich sein. Aber es ist einfach, den Prozess im Umgang mit Kundenbeschwerden zu verbessern.

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Dokumentation im Managementsystem

So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Ein Workshop für alle, die Umgang mit dokumentierten Informationen haben und/oder verantwortlich für die Dokumentation im Unternehmen sind. Aus dem Inhalt: 

  • Erstellung und Aktualisierung
  • Lenkung dokumentierter Informationen
  • Anwendung in der Praxis 

Innovation durch Wissenstransfer

Wenn jüngere mit älteren Kollegen etwas gemeinsam angehen, kommen unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Vorstellungen zusammen: eher explizites, wissenschaftlich fundiertes Wissen einerseits, eher implizites, kontextspezifisches andererseits. Daraus entstehen, neben zutreffenderen Prozessbeschreibungen und besseren Verfahren, neue Herangehensweisen und Ideen – und damit die Voraussetzung für Innovation.

Das Qualitätsmanagementsystem (QMS) nach ISO 9001 trägt in diesem Zusammenhang vor allem die Verantwortung, organisatorische Voraussetzungen zu schaffen und erste Impulse zu setzen. Die relevantesten Wissensbereiche, die gesichert werden sollen, müssen definiert werden. Prioritäten müssen gesetzt und Ressourcen freigegeben werden.

Entscheidend ist dabei die Fähigkeit, Kundenanforderungen und gesetzliche Anforderungen zu erfüllen. Wissen, welches dazu erforderlich ist, sollte stets Vorrang haben. Mit Begeisterung, Neugierde und Engagement wird die Aufgabe dann weiter vorangetrieben und zum Erfolg gebracht.

 

Digitalisierung erleichtert die Wissensnutzung

Besonders ehrgeizige Versuche, das vorhandene Wissen in der Organisation zu nutzen, scheitern oft an einfachen Problemen. Großzügig ausgestattete Bibliotheken bleiben ungefragt, das Wiki verwaist. Erfolgreiche Maßnahmen berücksichtigen die Vorliebe für alte Gewohnheiten und ständigen Termindruck. Die Digitalisierung bietet die Chance, den Zugang zu Wissen zu erleichtern – nicht in gesonderten IT-Systemen, sondern in Tools aus dem Arbeitsalltag.

In komplizierteren Fällen werden zusätzliche Dokumente automatisch zusammengefasst und bedarfsweise eingeblendet. In Zukunft entscheidet die KI, welche Informationen dem Mitarbeiter überhaupt noch angezeigt werden müssen. Welche Informationen die KI wiederum verwendet, und weshalb sie so entscheidet, bleibt im Verborgenen.

Unternehmen, die vergleichbare Methoden anwenden (werden), und die KI als Wissensträger einsetzen, überlegen sich deswegen am besten gleich zu Beginn, wie sie das implizite Wissen der KI sichern und weiternutzen, wenn das nächste Update ansteht.

Dieser Aspekt wird voraussichtlich auch ein Thema der nächsten Revision von  ISO 9001 sein. Laut einer Meldung des Technischen Kommittees ISO/TS 176 SC vom August 2023 soll diese in 2025 vorliegen.

 

Effektives Wissensmanagement: Risiken und Chancen

Derselbe Ratschlag betrifft den Menschen als Wissensträger. Unternehmen berücksichtigen die damit verbundenen Risiken und Chancen schon in den Bereichen Personalbedarfsplanung, Personalbeschaffung und Arbeitsplatzgestaltung. Kritische Funktionen werden, mit etwas unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, doppelt besetzt.

Arbeitsplätze werden so gestaltet, dass neue Kolleginnen und Kollegen von Anfang an eingebunden werden, wenn es um übergreifende Aufgaben geht. Wechselnde Aufgabenteilung, interne Schulungen und angemessen dokumentierte Arbeitsweisen tun das Übrige. In solchen Details liegen viele Risiken, und viele offensichtliche Chancen, das Wissen der Organisation zu nutzen.

Unser Lesetipp: Lesen Sie auch unseren Blogbeitrag Risikobasierter Ansatz in ISO 9001"

Die Anforderungen aus Kapitel 7.1.6 als Aufforderung zu verstehen, bedeutet: diese und weitere Risiken und Chancen identifizieren und einfache, kluge Lösungen an den verschiedensten Stellen finden, an denen Wissen Thema ist. Und es bedeutet, Wissen an allen diesen Stellen für die umfassenden Aufgaben des Qualitätsmanagements zu nutzen.

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ISO 9001:2015 in der Praxis

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Wissen der Organisation in ISO 9001 – Fazit

Die Qualitätsmanagementnorm ISO 9001 hat das „Wissen der Organisation“ lange nicht beachtet. Und auch die neuen Anforderungen in Kapitel 7.1.6, die mit der großen Revision von 2015 in die ISO-Norm aufgenommen wurden, reißen das Thema nur an.

Normanwender sind deshalb gefordert, eigene Gedanken zu entwickeln, welches Wissen an welchen Stellen heute und morgen im Unternehmen gebraucht wird, um die gesetzten Ziele sicher zu erreichen.

Im Mittelpunkt sollten unter anderem folgende Überlegungen stehen:

  • Wie kann das notwendige Wissen im Unternehmen gehalten werden?
  • Wie kann neues Wissen hinzugewonnen werden?
  • Welches Fachwissen ist für die Zukunft entscheidend?
  • Welchen Einfluss hat der demografische Wandel auf das Unternehmen?
  • Welchen Einfluss haben Themen wie Innovation und Digitalisierung?

Letztendlich lohnt es sich – mit Blick auf das Thema „Risiken und Chancen in ISO 9001“ – das Thema Wissen der Organisation zum Beispiel bereits in die Personalplanung einfließen zu lassen und bei Entscheidungen umfassend zu berücksichtigen. 

 

DQS. The Audit Company. 

Die Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen (DQS) wurde 1985 durch DGQ (Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V.) und DIN (Deutsches Institut für Normung e.V.) als Deutschlands erster Managementsystem-Zertifizierer gegründet.

Als einziger großer Zertifizierer fokussieren wir auf Managementsysteme und Prozesse. Damit nehmen wir seit Jahren eine Vorreiterrolle ein. So hat die DQS 1986 das deutschlandweit erste Zertifikat nach ISO 9001, der weltweit bedeutendsten Norm für Management­systeme, ausgestellt. Seither ist die Firmengeschichte der DQS eng mit der Historie von ISO 9001 verknüpft.

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DQS. Weil Audit nicht gleich Audit ist.

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Expertise und Vertrauen

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Hinweis: Wir verwenden aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum. Die Direktive schließt jedoch grundsätzlich Personen jeglicher Geschlechteridentitäten mit ein, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

Autor
Nadja Götz

Produktmanagerin ISO 9001 sowie DQS-Expertin für Gesundheitsmanagementsysteme und BSI-KRITIS-Prüfungen, Auditorin und Produktmanagerin für diverse Qualitätsstandards der Rehabilitation sowie der stationären und ambulanten Versorgung.

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