Im Februar haben die Gesetzgeber in Berlin und in Brüssel fast zeitgleich Ihre Vorstellungen für ein Lieferkettengesetz bzw. Sorgfaltspflichtengesetz präsentiert. Zunächst stellten am 12.02.2021 die Bundesminister Altmaier, Heil und Müller die Eckpunkte eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz) vor. Einige Tage später wurde der Entwurf einer Richtlinie zu Sorgfalts- und Rechenschaftspflichten von Unternehmen geleakt, den das Europaparlament am 10.03.2021 mit großer Mehrheit verabschiedet hat.

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Wer schafft die weitreichendsten Vorgaben – Berlin oder Brüssel?

Sowohl der Entwurf zum Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten als auch die Empfehlungen des Europäischen Parlaments für eine EU-Richtlinie zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen sehen vor, dass Unternehmen nicht nur die Menschenrechte unter Einschluss der Kinderarbeit, sondern auch die Umwelt schützen sollen.

Der Kreis der jeweiligen Adressaten ist sehr unterschiedlich. Die EU-Richtlinie soll alle Unternehmen, auch kleinere und mittlere Unternehmen mit hohem Risiko, erfassen. In den Anwendungsbereich des deutschen Entwurfs sollen zunächst ab dem 01.01.2023 im Inland ansässige Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten fallen. Ein Jahr später soll der Anwendungsbereich auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern gelten.

Während der Regierungsentwurf die zu schützenden Menschenrechte und Pflichten zum Schutze der Umwelt abschließend aufführt, sind die Schutzgüter im EU-Richtlinienentwurf nur exemplarisch aufgelistet.

Beide Entwürfe sehen vor, dass die Unternehmen ihre Strategie zur Erfüllung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten schriftlich darlegen sollen.

 

Lieferkettengesetz – Kompromiss im Sinne der Nachhaltigkeit?

Die Strategie soll auf einer angemessenen Risikoanalyse basieren. Im deutschen Entwurf soll sich die Risikoanalyse zunächst nur auf die unmittelbaren Zulieferer erstrecken. Der EU Richtlinienentwurf erfasst auch mittelbare Zulieferer. Beide Entwürfe sehen eine regelmäßige, mindestens jährliche Wiederholung der Analyse vor.

Auch Präventions- und Kontrollmaßnahmen sind Gegenstand beider Entwürfe. Das deutsche Lieferkettengesetz (aktueller Stand) sieht u.a. vor, dass die Unternehmen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers ihre eigenen menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen als Kriterien einfließen lassen.

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Des Weiteren sollen sie diese Zulieferer vertraglich verpflichten, diese Erwartungen einzuhalten und entlang der Lieferkette weiterzureichen, Kontrollmechanismen einzurichten und Schulungen sowie Weiterbildungen durchzuführen. Die Unternehmen sollen auch sicherstellen, dass ihre menschenrechtsbezogenen Vorgaben an mittelbare Zulieferer entlang der Lieferkette weitergegeben werden.

 

Menschenrechte im globalen Kontext – der Blick auf die Lieferkette wird erweitert

Unternehmen sollen auch von ihren unmittelbaren Zulieferern verlangen können, Vorprodukte nur von zertifizierten Zulieferern zu beziehen. Ebenso sollen Unternehmen die Umsetzung ihrer menschenrechtsbezogenen Vorgaben vor Ort durch Dritte überprüfen lassen können. Die Gesetzesbegründung hebt in diesem Zusammenhang jedoch hervor, dass die Einbindung Dritter das Unternehmen nicht von seiner Verantwortung nach diesem Gesetz freistellt.

Der Richtlinienentwurf der EU macht die gleichen Vorgaben bzw. Einschränkungen. So stellt er zum einen darauf ab, dass die Unternehmen sicherstellen sollen…

„…dass ihre Geschäftsbeziehungen Konzepte zu Menschenrechten, Umwelt und verantwortungsvoller Führung aufstellen und durchführen, die mit ihrer Strategie zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht im Einklang stehen, etwa durch Rahmenvereinbarungen, Vertragsklauseln, die Annahme von Verhaltenskodizes oder zertifizierte und unabhängige Prüfungen.“

Zum anderen wird in der Begründung zum Richtlinienentwurf ausgeführt, dass eine Zertifizierung durch Dritte jedoch keinen Grund darstellen sollte, …

„…eine Abweichung von den in dieser Richtlinie festgelegten Verpflichtungen zu rechtfertigen oder die potenzielle Haftung eines Unternehmens in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen.“

Lieferkettengesetz: Zertifizierung wird kein Persilschein

Beide Entwürfe sehen also die Notwendigkeit der Einbindung Dritter zur Überwachung der vereinbarten Pflichten von Vertragspartnern vor, ohne dass Unternehmen dadurch von der Verantwortung zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten freigestellt werden.

Ebenso verpflichten beide Entwürfe die Unternehmen, ihre Strategie zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in Form eines Berichts auf der eigenen Webpage zu veröffentlichen und diesen Bericht der zuständigen nationalen Behörde zu übermitteln bzw. auf eine (noch einzurichtende) zentrale europäische Plattform hochzuladen. Die deutsche Wirtschaft soll also zukünftig nicht nur Präventions- und Kontrollmaßnahmen installieren, sondern diese Schritte auch umfassend dokumentieren.

 

Lieferkettengesetz: aktueller Stand bei Bußgeldern

Die Nichterfüllung der Sorgfaltspflichten soll entsprechend dem deutschen Entwurf mit Bußgeldern von bis zu 2% des durchschnittlichen Jahresumsatzes geahndet werden können. Umsatzabhängige Sanktionen sieht auch der Richtlinienentwurf vor. Strafrechtliche Sanktionen für die Unternehmensleitung sieht keiner der Entwürfe vor.

Im Rahmen der Diskussion im Europaparlament wurde den im Ausland lebenden Opfern von unternehmensbezogenen nachteiligen Auswirkungen nur noch verklausuliert die Möglichkeit eingeräumt, ihre Rechte im Inland geltend zu machen.

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Das deutsche Lieferkettengesetz (aktueller Stand) beschränkt sich dagegen auf das sogenannte „Institut der Prozessstandschaft“. Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisation sollen ermächtigt werden, im eigenen Namen die Rechte von Betroffenen, bspw. ausländischen Kleinbauern, auf der Grundlage ausländischen Rechts vor deutschen Gerichten geltend machen zu können.

 

Entwurf der EU-Kommission im Juni 2021 mit mehr Durchsetzungskraft?

Es wird sich zeigen, ob die Entwürfe tatsächlich umgesetzt werden. Da das Europaparlament nicht das Initiativrecht für Gesetzesvorhaben hat, kann seine Entscheidung nur Signalwirkung für die Kommission haben, die angekündigt hat, ihren Entwurf im Juni zu veröffentlichen. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 03.03.2021 ließ Justizkommissar Reynders keinen Zweifel daran, dass der Entwurf weit über den deutschen Gesetzesentwurf hinausgehen wird, auch im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen.

Er rechnet damit, dass sein Richtlinienentwurf bis Ende 2024 verabschiedet sein wird. Mit der üblichen Übergangsfrist von zwei Jahren, muss die Richtlinie dann zum Jahresanfang 2027 in deutsches Recht umgesetzt sein. Der deutsche Entwurf soll am 22.04.2021 zum ersten Mal im Bundestag diskutiert und einen Monat später verabschiedet werden. Verschiedene Bundesländer denken schon darüber nach, die Übergangsfrist zu verlängern, so dass das Gesetz erst zum 01.02.2024 wirksam werden wird.

 

Lieferkettengesetz: aktueller Stand zum Handlungsbedarf bei Unternehmen

Möglicherweise müssen sich Unternehmen zunächst auf die deutschen Vorgaben einstellen, gleichzeitig sich aber auch auf die Umsetzung der EU-Richtlinie vorbereiten. Die Begründung für das Sorgfaltspflichtengesetz sieht vor, dass die Bundesregierung überlegen wird, sobald eine entsprechende EU-Richtlinie erlassen ist, das deutsche Gesetz außer Kraft zu setzen.

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Unabhängig von den vorgestellten Entwürfen müssen Unternehmen zukünftig mit umfassenden Vorgaben zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten im Bereich der Menschenrechte und des Umweltschutzes rechnen.

 

Übergangsfristen nicht unterschätzen

Die in den Entwürfen der Bundesregierung genannten Übergangsfristen mögen großzügig klingen. Das letztjährige Monitoring des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte hat gezeigt, dass die meisten Unternehmen schon die Vorgaben für eine angemessene Risikoanalyse nur unzureichend erfüllten. Daher sollten sie umgehend mit einer Bestandsaufnahme beginnen und darauf aufbauend ihre unternehmensspezifische Strategie zur Achtung von Menschenrechte und zum Schutze der Umwelt entwickeln.

 

Übersicht Primärquellen

 

  • Lieferkettengesetz (Stand: März 2021): Der offizielle Regierungsentwurf zum Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz bzw. Lieferkettengesetz) vom 01.03.2021 findet sich hier.
  • Bericht des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen: Den nunmehr angenommenen Text lesen Sie hier.

 

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Autor
Michael Wiedmann

Von Juni 2017 bis Dezember 2020 war Michael Wiedmann als Anwalt für Compliance im Frankfurter Büro von Norton Rose Fulbright tätig. Zuvor hatte er zwei Jahrzehnte verschiedenste Management-Positionen in der METRO Group inne; u. a. war er dort als Chief Compliance Officer, Senior-Vice President Public Affairs, Head of Corporate Development/ General Manager, General Counsel und Company Secretary tätig. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung in Compliance-, Governance- und Corporate-Angelegenheiten, die er in die Beratung seiner Mandanten insbesondere bei der Entwicklung und Ausgestaltung von Compliance Management Systemen einbringt. Neben seinem Engagement beim Deutschen Institut für Compliance e.V. (DICO) als Co-Arbeitskreisvorsitzender CSR/Menschenrechte veröffentlicht Michael Wiedmann regelmäßig zu den Themen Menschenrechte und Whistleblowing.

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